2.2 Eigenschaften vibronischer Festkörperlasermedien

 

Vibronische Festkörperlasermaterialien haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ausschlaggebend hierfür war die Entwicklung leistungsstarker, schmalbandig durchstimmbarer Laser und die Entwicklung der Kurzpuls-Laser, die aufgrund der Bandbreitenbegrenzung Lasermedien mit einem spektral sehr großen Verstärkungsbereich benötigen.

Anfang der sechziger Jahre wurden die ersten vibronischen Lasermaterialien entwickelt. Als laseraktive Ionen dienten die Übergangsmetallionen V2+, Co2+ und Ni2+ in den Wirtskristallen MgF2, MnF2, ZnF2 und MgO [Cu64, Cu64*, Jo66]. Bei diesen Medien ist Laseremission jedoch nur im Tieftemperaturbereich beobachtet worden. Durch die Entwicklung neuer Wirtskristalle wie Saphir, Chrysoberyll, der Galliumgranate sowie der Colquiriite gewannen in den siebziger und achtziger Jahren die laseraktiven Ionen Ti3+ und Cr3+ an Bedeutung [Cl62, Ki67, Ne67, Ti70, Zh93].

Übergangsmetalle eignen sich aufgrund ihrer Elektronenkonfiguration als aktive Ionen für vibronische Lasermedien, da das äußere 3d-Niveau gegenüber dem Kristallfeld nicht abgeschirmt ist. Das Kristallfeld bewirkt die Aufspaltung des 3d-Niveaus, an die elektronischen Niveaus können Phononen koppeln. Abbildung 2.5 zeigt ein Schema der Grundschwingungen eines das aktive Ion umgebenden Sauerstoffoktaeders [Pe90]. Den größten Einfluss auf die Termaufspaltung hat die stark asymmetrische Grundschwingung eg, die in der Literatur auch als Jahn-Teller-Mode bezeichnet wird. Die Strahlungsübergänge beim optischen Pumpen und im Laserbetrieb finden innerhalb des 3d-Niveaus statt. Das Kristallfeld und die Spin-Bahn-Kopplung bewirken eine teilweise Aufhebung des Paritätsverbots für strahlende Übergänge und des Verbots der Übergänge in Niveaus anderer Multiplizität. Die Folge der Niveauaufspaltungen und der Elektron-Phonon-Kopplung ist eine Vielzahl an elektronischen und den dazugehörigen vibronischen Niveaus (siehe Abbildung 2.6). Die Bezeichnung "vibronisch" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass strahlende Übergänge in diese Niveaus mit der simultanen Erzeugung oder Vernichtung von Phononen verbunden sind.

Abb. 2.5 Grundschwingungen für das das aktive Ion umgebende Sauerstoffoktaeder [Pe90]

 

Abb. 2.6 Schema der elektronischen und der dazugehörigen vibronischen Niveaus [Wa92]

 

Die grundlegende theoretische Beschreibung der vibronischen Laserkinetik wurde 1964 von McCumber[Cu64+] veröffentlicht. Darin wird aus den Einstein-Relationen der Zusammenhang zwischen Absorptionsspektren und Emissionsspektren von atomaren Systemen in dielektrischen Wirtsmedien hergeleitet. Die Vielzahl der vibronischen und elektronischen Niveaus wird in zwei Mannigfaltigkeiten getrennt, das untere Band Ei und das obere Band Ej (Abbildung 2.6). Beide Bänder werden als untereinander ungekoppelt angenommen, innerhalb dieser Mannigfaltigkeiten sind die Niveaus über die Gitterschwingungen gekoppelt und im thermodynamischen Gleichgewicht. Die Lebensdauer der Anregung vibronischer Niveaus liegt typischerweise im Bereich von einigen Picosekunden, was zu einer starken homogenen Verbreiterung und über die Vielzahl vibronischer Niveaus zu einem Kontinuum führt. Die Relaxation erfolgt strahlungslos in das unterste Niveau des jeweiligen Bandes, von dort aus werden die höheren Niveaus thermodynamisch besetzt. In [Ba88] wird das Modell von McCumber auch auf Bänder erweitert, die sich nicht im thermischen Gleichgewicht befinden.

Für die spektrale Verteilung der Verstärkung pro Einheitslänge gE (l, T, Nu) gilt unter diesen Annahmen:

(Gl. 2.13)

Hierbei sind No , Nu die Besetzungsdichten des oberen bzw. des unteren Bandes, se (l, T) der Emissionswirkungsquerschnitt, der Exponentialterm bezeichnet die Boltzmann-Besetzung der Niveaus im unteren Band. Der Absorptionswirkungsquerschnitt sa (l, T) ergibt sich aus se (l, T) zu:

(Gl. 2.14)

T ist die Temperatur, l die Wellenlänge, k die Boltzmannkonstante, h das Planck’sche Wirkungsquantum und c die Vakuumlichtgeschwindigkeit. E*(T) stellt die temperaturabhängige effektive Energiedifferenz zwischen dem oberen und dem unteren Band dar, bestimmt aus den chemischen Potentialen der Bänder [Wa92].

(Gl. 2.15)

 

 

2.2.1 Ti:Saphir

 

Ti:Saphir ist der bedeutendste Vertreter der vibronischen Lasermaterialien. Der erste Ti:Saphir-Laser wurde 1982 von Moulton vorgestellt [Mo82]. Der Wirtskristall a-Al2O3 (trigonale Raumgruppe ) ist einachsig doppelbrechend und weist sehr gute optische und thermische Eigenschaften auf. Das aktive Ion Ti3+ besitzt die Elektronenkonfiguration 3d1, das 2D-Niveau des freien Ions ist fünffach entartet. Durch das starke Kristallfeld sowie durch die Spin-Bahn-Kopplung und den Jahn-Teller-Effekt wird diese Entartung aufgehoben. An die entstandenen Niveaus koppeln Phononen. In Abbildung 2.7 ist ein Schema der Niveauaufspaltung dargestellt. Die Übergangsenergien und die Phononenenergien wurden Tieftemperatur-Emissions- und -Absorptions-Spektren entnommen [Gä74, By85, Ab86, Ag86, Lu86, Po86]. Weiterführende theoretische Betrachtungen der dynamischen Jahn-Teller-Aufspaltung im Ti:Saphir sind in [Ma68] und [Ci73] veröffentlicht. Der Übergang vom Grundniveau des unteren Bands zum Grundniveau des oberen Bands (blau) wird als Null-Phononen-Übergang bezeichnet. Die Null-Phononen-Linie tritt im Absorptions- und Emissionsspektrum bei 618 nm auf. Die effektive Energiedifferenz E* nach Gl. 2.15 (rot gestrichelt) ist größer als die Null-Phononen-Energie (blau). Daraus resultierend ist der maximale Absorptionswirkungsquerschnitt kleiner als der maximale Emissionswirkungsquerschnitt.

Albers et al. stellten in [Ab86] ein Modell zur Elektron-Phonon-Kopplung im Ti:Saphir vor, mit dessen Hilfe das Emissionsspektrum beschrieben werden kann. Das Modell beinhaltet die Näherung, dass nur ein Phonon (eg) an die elektronischen Niveaus koppelt (Ein-Phononen-Modell). Weitere Näherungen sind die Franck-Condon-Näherung, die Näherung der linearen Kopplung und die Näherung gleicher Kraftkonstanten. Grindberg et al. erweiterten in [Gr93] das Modell auf zwei Dimensionen. Abbildung 2.8 zeigt das Konfigurationskoordinatenmodell für Ti:Saphir, reduziert auf eine Dimension. Q bezeichnet die verallgemeinerte Ortskoordinate, im Allgemeinen der radiale Abstand vom Grundniveau. Aufgrund der Näherung der linearen Kopplung sind die Potential-Kurven Parabeln, die Franck-Condon-Näherung [Fo73] wird durch die senkrechten Pfeile für Absorption und Emission verdeutlicht. Je energetisch näher ein vibronisches Niveau am Grundniveau des jeweiligen Bandes liegt, desto größer ist die Besetzungsdichte N.

Abb. 2.7 Niveauaufspaltung des Ti3+-Ions im Saphir [Ag86] und Phononenenergien

 

Abb. 2.8 Konfigurationskoordinatendiagramm für Ti:Saphir nach Albers et al.

 


Abb. 2.8. zweidimensionales Konfigurationskoordinatendiagramm für Ti:Saphir (links - oberes Niveau, rechts - unteres Niveau)


Die thermische Besetzung der vibronischen Niveaus des oberen Bandes führt über nichtstrahlende Zerfälle zu einer Verringerung der Fluoreszenzlebensdauer. Die Zerfallsratenverteilung Wp(p,T) ergibt sich damit zu:

(Gl. 2.16)

(Gl. 2.17)

(Gl. 2.18)

Hierbei ist p die Anzahl der erzeugten Phononen, S ist der Huang-Rhys-Faktor, m(T) ist die mittlere Planck’sche Besetzung der vibronischen Niveaus und nph die mittlere Phononenenergie in Wellenzahlen. Der Huang-Rhys-Faktor gibt die Stärke der Elektron-Phonon-Kopplung an. Die Fluoreszenzlebensdauer tf (T) ergibt sich zu:

(Gl. 2.19)

tf (T) entspricht der Lebensdauer bei 0 K,Wp (T)/t0 ist die nichtstrahlende Zerfallsrate.

Da Ti:Saphir nur in der Polarisationsrichtung E||c betrieben wird, sind die Berechnungen nur für die c-Richtung durchgeführt worden. Für die spektrale Verteilung des Wirkungsquerschnitts der stimulierten Emission sec (l, T) gilt nach [Cu64]:

(Gl. 2.20)

mit (Gl. 2.21)

n0 ist die Null-Phononen-Energie in Wellenzahlen, C ist der Normierungsfaktor auf den maximalen Emissionswirkungsquerschnitt von 3.2*10-19 cm2 [Eg88, Sa88] und nc (l, T) der Brechungsindex in c-Richtung. Die quadratische Abhängigkeit von der Wellenlänge bewirkt eine Rotverschiebung des Emissionswirkungsquerschnitts gegenüber der Fluoreszenzverteilung. Grund hierfür ist, dass sich mit wachsender Photonenenergie die Besetzung der unteren Niveaus für die stimulierte Emission bemerkbar macht. In Abbildung 2.9 sind die spektralen Verläufe der Wirkungsquerschnitte dargestellt, Abbildung 2.10 zeigt den Temperaturverlauf der Fluoreszenzlebensdauer.

Abb. 2.9 Spektrale Verteilung des Absorptions- und Emissionswirkungsquerschnitts (Gl. 2.20)

 

Abb. 2.10 Abhängigkeit der Fluoreszenzlebensdauer von der Temperatur (Gl. 2.19)

 

Die Abhängigkeit der Kleinsignalverstärkung von der Temperatur und der Besetzungsinversion führt zu Veränderungen im spektralen Verlauf. Abbildung 2.11 zeigt, dass bei geringer Inversion im Bereich kleiner Wellenlängen keine Verstärkung vorliegt (schwarzer Bereich). Ti:Saphir zeigt in diesem Bereich Eigenschaften eines Drei-Niveau-Systems. Im Bereich großer Wellenlängen sowie im Bereich des Verstärkungsmaximums ist der Einfluss bis auf eine leichte Rotverschiebung des Maximums marginal, der Ti:Saphir zeigt die Eigenschaften eines Vier-Niveau-Systems. Die Kleinsignalverstärkung wurde für eine Dotierung von 0,1 at% durchgeführt, das entspricht 3,3*1019 Ionen pro cm3.

Im Anhang sind die zur Modellierung benutzten Größen für Ti:Saphir tabellarisch zusammengefasst.

Kleinsignalverstärkung für verschiedene Temperaturen

Abb. 2.11 Nach Gleichung 2.13 berechnete Kleinsignalverstärkung bei 293 K in Abhängigkeit von der Inversion

 

 

2.2.2 Alexandrit

 

Alexandrit, Cr3+ dotierter Chrysoberyll (BeAl2O4), war das erste bei Zimmertemperatur durchstimmbare Festkörper-Lasermaterial [Wa80]. Das Wirtsmaterial Chrysoberyll (orthorhombisch Pnma) ist zweiachsig doppelbrechend und besitzt vergleichbar gute thermische Eigenschaften wie Saphir. Cr3+-Ionen sind chemisch sehr stabil und sind deshalb prädestiniert für den Einsatz als laseraktives Ion. Es besitzt die Elektronenkonfiguration 3d3, das Termschema ist deshalb komplexer als bei Ti:Saphir. Die Cr3+-Ionen können in Chrysoberyll zwei verschiedene kristallografische Positionen besetzen, eine mit Spiegelsymmetrie und eine mit Inversionssymmetrie. Für den Laserbetrieb sind aber nur Cr3+-Ionen mit spiegelsymmetrischer Position von Bedeutung. Nach [Wa92] belegen 78 % der Cr3+-Ionen solche Plätze.

Abbildung 2.12 zeigt die den vibronischen Laserbetrieb bestimmenden elektronischen Niveaus im Konfigurationskoordinaten-Diagramm. Nach der Anregung aus dem Grundzustand 4A2 (vierfach entartet) in die breiten Absorptionsbänder der Niveaus 4T2 und 4T1, finden strahlungslose Übergänge in das Niveau 2E statt. Dieses Niveau ist mit tf = 1,54 ms sehr langlebig, deshalb wird es auch als Speicherniveau bezeichnet. Der energetische Abstand zwischen dem vibronisch nicht verbreiterten Speicherniveau und dem vibronischen 4T2-Band beträgt in Wellenzahlen 800 cm-1. Vom Speicherniveau aus werden die vibronischen Niveaus thermisch besetzt, mit der Konsequenz, dass der Emissionswirkungsquerschnitt mit steigender Temperatur wächst und aufgrund der Kurzlebigkeit des 4T2-Niveaus die Fluoreszenzlebensdauer abnimmt. Die effektive Energiedifferenz E* nach Gl. 2.15 ist für Alexandrit kleiner als die Null-Phononen-Energie. Damit ist der maximale Emissionswirkungsquerschnitt im Gegensatz zu Ti:Saphir kleiner als der maximale Absorptionswirkungsquerschnitt.

Für die Lasertätigkeit von Alexandrit spielt die Absorption aus angeregten Niveaus (Excited-State Absorption) eine besondere Rolle. Der Wirkungsquerschnitt der stimulierten Emission ist im Bereich der vibronischen Lasertätigkeit nur etwa viermal größer als der Wirkungsquerschnitt der ESA.

Abb. 2.12 Konfigurationskoordinaten-Diagramm (Schema) für Alexandrit

 

Die Fluoreszenzlebensdauer tf in Abhängigkeit von der Temperatur ergibt sich nach [Le94] aus den Einzellebensdauern t(2E) und t(4T2) zu:

(Gl. 2.22)

DE ist der energetische Abstand zwischen dem 2E-Niveau und dem vibronischen 4T2- Niveau. Die aus der Regression an die bei verschiedenen Temperaturen gemessenen Fluoreszenzlebensdauern (Abb. 2.13) ermittelte Lebensdauer t(4T2) beträgt 6,6 µs. Bei Zimmertemperatur beträgt die Lebensdauer tf etwa 260 µs, was die effiziente Anregung mit Blitzlampen ermöglicht. In Abbildung 2.14 sind das Emissionsspektrum bei Zimmertemperatur und die effektiven Emissionswirkungsquerschnitte bei 27 C, 85°C, 150°C und 200°C dargestellt. Effektiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die temperaturabhängige Besetzung der Niveaus in den Bändern im Wirkungsquerschnitt implementiert ist. Es ist gut zu erkennen, dass der Wirkungsquerschnitt im vibronischen Bereich stark zunimmt.

Abb. 2.13 Temperaturabhängigkeit der Fluoreszenzlebensdauer von Alexandrit

 

Abb. 2.14 Emissionsspektrum von Alexandrit bei 293 K (schwarz) und effektive Emissionswirkungsquerschnitte (blau) bei erhöhten Temperaturen für E||b [Le94]

 

Die Ursache der Zunahme liegt in der stärkeren Besetzung der höheren vibronischen Niveaus des oberen Bandes, höherenergetische Übergänge werden wahrscheinlicher. Die Emissionswirkungsquerschnitte der Kristallrichtungen a und c sind eine Größenordnung kleiner als der der Kristallrichtung b. Deshalb wird Alexandrit mit E||b linear polarisiert betrieben. Alle weiteren Berechnungen sind deshalb für diese Kristallrichtung durchgeführt worden.

Abbildung 2.15 zeigt die spektrale Verteilung der Kleinsignalverstärkung in Abhängigkeit von der Inversion. Bei geringer Inversion liegt im Bereich kleiner Wellenlängen keine Verstärkung vor (schwarzer Bereich), Alexandrit zeigt in diesem Bereich Eigenschaften eines Drei-Niveau-Systems. Im Bereich großer Wellenlängen zeigt Alexandrit die Eigenschaften eines Vier-Niveau-Systems. Die Berechnung der Kleinsignalverstärkung wurde für eine Dotierung von 0,5 at% durchgeführt, das entspricht 13,7*1019 Ionen auf spiegelsymmetrischen Plätzen pro cm3. In der Praxis wird selten eine Inversion von über 30% erreicht, deshalb liegen die Laserwellenlängen im freilaufenden Betrieb im Bereich um 750 nm.

Die zur Modellierung benutzten Größen für Alexandrit sind im Anhang tabellarisch zusammengefasst.

Abb. 2.15 Nach Gleichung 2.13 berechnete Kleinsignalverstärkung bei 293 K in Abhängigkeit von der Inversion